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Eine Geschichte - ohne Bilder

Wir fahren die Great North Road in Sambia Richtung Norden. Die Straße ist asphaltiert. Im Asphalt tauchen immer wieder tiefe Schlaglöcher auf. Stellenweise ist die schwarze Decke komplett verschwunden. Es klafft nur noch ein großes staubiges Loch welches zur Regenzeit wohl zu einer Matschgrube wird.

Entlang dieser Hauptverbindungsstraße kommen wir immer wieder durch kleinere Städte. Gemauerte Häuser in denen gewohnt und etwas verkauft wird prägen das Bild. 

Zwischen diesen reiht sich Dorf an Dorf. Hütten aus Lehm mit Strohdächern, meist mehrere zusammen stehen direkt neben der Straße. Vor den kleinen Gebäuden sitzen ihre Bewohner. Vor allem viele Kinder in allen Altersklassen und Frauen. Sie verkaufen häufig Tomaten, Kartoffeln, Zwiebeln, Pilze und Früchte an der Straße. Ab und an steht auch ein kleines Kind neben der Fahrbahn und hält ein Huhn in die Luft um es zum Kauf anzubieten. Oft sind die Kleinen kaum älter als fünf Jahre. 

Hier auf dem Land geht wohl kaum jemand zur Schule.

Auf der Straße herrscht reges Treiben. LKWs zuhauf. Beladen mit Kupfer, Treibstoffen, Containern und anderem brausen sie sowohl in Richtung Süden als auch Norden. Viele von ihnen sehen abenteuerlich aus und es ist kaum zu glauben, dass der ein oder andere überhaupt noch fährt. Mal hängt das Führerhaus schief, mal bewegt sich das ganze Gefährt im Hundegang über die Straße vorwärts. Auch, dass die Ladefläche übervoll mit Menschen ist, ist hier völlig normal. 

Autos sieht man eher wenig. Wenn, dann sind es Geländewagen von humanitären Projekten, der Regierung oder andere Reisende.

Weitere Verkehrsteilnehmer sind Radfahrer. Sambia ist das erste Land unserer Reise in welchem sich die Menschen auch mit dem Drahtesel fortbewegen. Die Räder sind beladen mit bis zu vier Personen. Auch zum Transport großer Säcke Kohle, Maismehl oder einer Ziege wird das Fahrrad genutzt.

Ansonsten trifft man auch ständig und überall Fußgänger. 

An den miesen Schlaglöchern treffen dann alle aufeinander. Im Schritttempo oder noch langsamer holpert jeder seines Weges. LKWs fahren gern auch mal im Zickzack um möglichst viele Stöße zu vermeiden. Radfahrer schieben, Autos Zirkeln gekonnt um die langsamen LKW herum und vorbei. 

Und so tuckern wir mehrere Stunden dahin. Auf einer Höhe zwischen 1200 und 1600m geht es immer wieder mal etwas bergauf und ab. 

Wir kommen einen Hügel hinunter und sehen von weitem ein neues Schlagloch. Doch in dem Schlagloch bewegt sich etwas. Es spritzt und wirbelt Erde herum. Sehr langsam nähern wir uns dem Loch und können plötzlich erkennen, dass es sich um mehrere kleine Jungen handelt. Sie haben Schippen, holen Erde vom Fahrbahnrand und schaufeln das Loch zu. 

Kurz bevor wir das Loch erreichen rennen sie blitzartig von der Straße und verschwinden in einer Senke neben der asphaltierten Strecke. 

Wir halten an. Neugierig, aber mit großem Respekt blicken uns die Augen von sieben kleinen Jungs von unten her an. Keiner traut sich an unser Auto heran. Schon fast ängstlich werden wir genauestens beobachtet. Man spürt, dass die Kinder die Situation nicht einschätzen können und nicht sicher sind was zu tun ist. 

Wir haben Bananen und möchten einfach nur jedem eine geben. Hanjo hält zwei Bananen aus dem Fenster und spricht beruhigend zu den Kindern. Zwei trauen sich langsam die Böschung hoch. 

Doch in diesem Moment rauscht mit einem höllen Lärm in anderer Richtung ein LKW vorbei. Irgendetwas flattert aus dem Fenster. Einer der Jungs rennt flink auf die Straße und sammelt es ein. Es ist ein Geldschein. Die LKW Fahrer werfen den Kindern als Dank, dass sie die Löcher zuschaufeln Geld zu. 

Kurz nach dem Spektakel nehmen zwei ganz vorsichtig jeweils eine Banane. Die anderen sehen immer noch etwas verängstigt zu, trauen sich dann aber nach und nach auch. Wir fragen wer noch keine Banane hat. Es dauert eine Weile bis der letzte sich traut sich zu melden. 

Nachdem die Scheu doch ein bisschen verloren ist fragt einer der älteren Jungs nach Wasser. Wir haben eine leere Flasche die wir ihnen füllen können. Dazu muss Hanjo aber aussteigen. Er schnappt sich die Flasche und steigt energisch aus. Aufruhr vor dem Auto. Die Kinder erschrecken sich so sehr, dass sie wieder im Straßengraben in Deckung gehen. Mit Worten versucht Hanjo die Situation zu beruhigen, zeigt die Flasche und dass er Wasser hineinfüllt. Der Vorgang wird wieder von sieben Augenpaaren voller Neugier aus der sicheren Deckung heraus beobachtet. Als die Flasche voll ist traut sich erst keiner sie zu nehmen. Einer der Älteren kommt dann doch. Als er das Wasser in den Händen hält werden die Augen immer größer und er streckt die Flasche wie einen Pokal Richtung Himmel in die Höhe. Langsam kommen auch alle anderen ca. 5-10 jährigen wieder aus der Böschung auf die Straße gekrabbelt. Aber immer mit einem sicheren Abstand zu uns. 

An der Beifahrertür steht in ca. 1,5m Abstand einer der Jungs und schaut Linda an. Verlegen lächelt sie und winkt. Es dauert sicher fünf Sekunden bis das Lächeln und Winken erwidert wird. Ein Moment, der unter die Haut geht.

Hanjo steht noch draußen, er dreht sich um, lehnt sich ins Auto um unsere große Kamera hervor zu holen. Als das Teil für die Kinder sichtbar wird rennen sie sofort wieder davon. Hanjo erklärt, dass er ein Foto machen möchte und ob das ok ist. Keine Antwort, nur große Augen und ein Anflug von Angst. Schnell lässt Hanjo die Kamera wieder im Auto verschwinden. Die Situation entspannt sich wieder. Noch mehr, als Hanjo wieder einsteigt.

Wir winken und verabschieden uns. Mit der Flasche unter dem Arm und jeder eine Banane rufen einige „Thank you“. Wir fahren weiter und der nächste LKW rauscht schon vorbei und schmeißt einen Geldschein aus dem Fenster.

Das ganze Geschehen ereignete sich innerhalb zehn Minuten. Für uns sehr intensive zehn Minuten. Was in dieser Begegnung alles drinsteckt. 

Interpretation, Meinung etc. überlassen wir an dieser Stelle jedem Leser selbst.